Abschied eines Analytikers: Franz-Xaver Kaufmann ist tot

Mit Franz-Xaver Kaufmann (G1944 – 1948) ist im Alter von 91 Jahren ein Pionier im Bereich der Religionssoziologie gestorben. Der Schweizer, der seit 1963 in Deutschland lebte und als Professor für Sozialpolitik und Soziologie in Bielefeld lehrte, beriet unter anderem wiederholt die deutschen Bischöfe. Kaufmann wurde am 22. August 1932 in Zürich geboren und ging vier Jahre auch auf die Klosterschule.

Zu seinen späteren Hauptarbeitsgebieten gehörten die Theorie der Sozialpolitik und des Wohlfahrtsstaates, institutionelle Entwicklungen der Sozialpolitik, Familiensoziologie und -politik sowie die Religionssoziologie. Kaufmann war Berater an der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer und langjähriger Berater des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Die Universität Bielefeld ernannte Kaufmann 2009 für seine Verdienste zum Ehrensenator. 2012 wurde er durch die Katholische Fakultät der Universität Münster mit der Ehrendoktorwürde und durch das Bistum Essen mit dem Heinrich-Brauns-Preis für Verdienste um die katholische Soziallehre ausgezeichnet.

 In seinem Buch «Zwischen Wissenschaft und Glauben» erinnert er sich an die Gymnasialjahre in Disentis:

«Mit zwölf Jahren kam ich also ins Internat, nach Disentis im Kanton Graubünden. Ein altes Benediktinerkloster, gebaut am sonnigsten Fleck des Vorderrheintals, nahe der alten Passstrasse über den Lukmanier, einem der bequemsten Wege nach Süden. Nun war ich plötzlich einer von vielen, nicht mehr der Sohn eines geachteten Vaters. Und meine vorlaute Art führte dazu, dass ich von den älteren Schülern in die Mangel genommen wurde.

Während nahezu der ganzen ersten Gymnasialklasse verstand ich es, aus Schulstunden wegen Störungen zu fliegen, nachdem ich beim ersten Mal noch flehentlich (und erfolglos) um Wiederteilnahme gebettelt hatte. Der Anlass des ersten Rauswurfs: Unser Deutschlehrer, Pater Anselm, gab uns folgenden Satz zur grammatikalischen Analyse: ,Ein Mann springt zehn Meter hoch‘; das veranlasste mich, laut in die Klasse zu rufen: «Machen Sie’s vor!» Als ich damals vor der Türe stand, kam der Vizepräfekt, Pater Bruno, vorbei und riet mir, in den Studiensaal zu gehen und zu lesen. Das fand ich in der Folge recht praktisch … Karl May wartete schon! Aber alle Unarten hatten ein Ende, als ich gefirmt wurde. In der Woche vor der Firmung schaffte ich noch vier Rauswürfe und nach der Firmung wurde ich nie mehr des Klassenzimmers verwiesen. Durch diesen Verhaltenswandel wollte ich die Wirksamkeit des Heiligen Geistes an meiner Person beweisen!

Fast alle unsere Lehrer waren Mönche, und der Unterricht war von unterschiedlicher Qualität. Besonders gern erinnere ich mich an den Lateinunterricht bei den Patres Vigil und Augustin; letzterer wurde auch mein Beichtvater. In Disentis lernte ich so nützliche Dinge wie Stenographieren und Schreibmaschine-Schreiben, ferner das Blasen des Tenorhorns im Rahmen der studentischen Blasmusik. Einen Freund fürs Leben, den späteren Professor für Photochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Franz Tomamichel (1930–1988), gewann ich in dieser Zeit.

Die jährlichen Exerzitien nahm ich durchaus ernst, und es war bei einer hiermit verbundenen Beichte, als mich der Exerzitienmeister fragte, ob ich noch nie daran gedacht hätte, Priester zu werden. Ich antwortete sinngemäss, dass mich die Frage durchaus umtreibe, dass ich aber der Meinung sei, es brauche auch gute katholische Laien und Familienväter. Daraufhin sagte er mir, dass ich offensichtlich nicht berufen sei. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar, denn damit war das Thema für mich erledigt.

Nach vier Gymnasialjahren kehrte ich auf Wunsch meiner Mutter nach Zürich zurück.» (Seiten 35–36)

«Meine Eltern schickte mich mit zwölf Jahren in die Klosterschule Disentis, wo wir ganz überwiegend von Mönchen des dortigen Benediktinerklosters unterrichtet wurden. Diese Zeit in den Bündner Bergen habe ich in guter Erinnerung, und da war auch alles um mich herum katholisch. Ich entwickelte ein inneres Verhältnis zur Liturgie, einschliesslich des Stundengebets, ‹natürlich› alles noch auf Lateinisch. Aber nach vier Jahren wollte mich meine Mutter wieder in ihrer Nähe haben, vielleicht ahnte sie ihren baldigen Tod.» (Seite 162, aus Franz-Xaver Kaufmann, Zwischen Wissenschaft und Glauben. Persönliche Texte, Herder-Verlag 2014)

NZZ: Theoretiker des Wohlfahrtsstaats: Der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann ist gestorben

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