« Ich war nicht ganz gehorsam »

Abt Vigeli Monn über seinen Werdegang, seine Aufgaben, seine Freuden. Ein Portrait.

Es war einmal. Nein, hier beginnt kein Märchen. Sondern die wahre Geschichte von Dietrich Monn und seiner Clique. Die Buben (und Mädchen) zogen nicht wie beim Chalandamarz im Engadin und im Val Müstair mit Glocken und Schellen umher, sondern mit Fahnen und einem Kreuz. Jawohl, sie « spielten » Messe und prozessionierten von einem Stall zu einer 250 Meter entfernten Kapelle. Wobei Dietrich immer den Pfarrer gab.

Wie es sich für einen Buben aus einer katholischen Familie in einem katholischen Dorf gehört, war er auch bei den richtigen Messen fleissig dabei – er diente ab der Erstkommunion als Ministrant.

Er besuchte in Sedrun die Primarschule und in Disentis das Gymnasium. Für Insider (Altdisentiser): G78-M85. Für alle anderen: Eintritt 1978, Matura bestanden 1985. Es folgten die Rekrutenschule in Kloten (Telegrafen-Pionier), zwei Jahre Schweizergarde in Rom und ein Aufenthalt in Grossbritannien und Irland – learning English.

«Ich war nicht der beste Schüler », sagt er, « aber auch nicht der schlechteste.» Der Wechsel von der Primarschule ans Gymnasium machte ihm recht zu schaffen. Und zwar allein wegen der Distanz. Denn in Sedrun sprach er Rätoromanisch, am Gymnasium in Disentis – 11 km entfernt – « war plötzlich alles Deutsch ». Kein Wunder deshalb, dass ihm Fächer, die sich um Zahlen drehen – insbesondere Mathematik – mehr zusagten als andere.

Dietrich Monn war nach seiner heutigen Einschätzung ein « eher ruhiger, braver Mitläufer, der nicht auffällt », wobei der Zuhörer nicht so richtig herausfiltern kann, ob die Betonung auf « eher » liegt oder auf « ruhig » und « brav ». Dies umso weniger, als Ursin Defuns, damals eine Klasse über ihm, heute Lehrperson am Gymnasium Kloster Disentis – mit vielsagender Miene zu verstehen gibt, dass es « schon noch einiges zu erzählen » gäbe.

Doch zurück zur wahren Geschichte: Dietrich Monn verspürte bereits Ende Primarschule / Anfang Gymnasium das Verlangen, Priester zu werden.

Gegenüber anderen hüllte er sich in Schweigen. Die einzige Ausnahme bildeten seine Eltern, die von allem Anfang an eine positive Haltung einnahmen. Grundtenor: «Wenn er das will, dann soll das möglich sein, aber es muss nicht. » Auf diese Weise öffneten sich nicht nur für Dietrich, sondern gewissermassen für die ganze Familie die Türen zur Welt der gymnasialen Bildung.

Seine « Bewerbung » an die Adresse des Novizenmeisters des Klosters Disentis schrieb Dietrich Monn im Alter von 23 Jahren aus Grossbritannien. Genauer gesagt: als er in Canterbury weilte und auf seiner weiteren Reise « sinnigerweise Unterschlupf in einem Benediktinerkloster » fand. Am 18. September 1988 fuhr er mit seinen Eltern und gepacktem Koffer nach Disentis und wurde von Abt Pankraz Winiker in Empfang genommen. «Wir tranken gemeinsam einen Kaffee – dann ging’s los. »

Nicht nur für Dietrich Monn. Auch die heutigen Pater Bruno Rieder und Bruder Stefan Keusch standen am Anfang ihrer Zeit als Kandidaten. Normalerweise ist für diese erste Etappe auf dem Weg zum Mönch ein halbes Jahr vorgesehen. Dietrich Monn und Bruno Rieder genossen als Altdisentiser einen Bonus und wurden schon nach drei oder vier Wochen als Novizen aufgenommen.

Am 15. Oktober 1989 – am Fest der heiligen Theresia von Avila – legte Dietrich Monn die Einfache Profess ab. Aus Dietrich Monn wurde Bruder Vigeli Monn.

Warum Vigeli ? Und warum Dietrich ?

« Dietrich » entsprach einem Wunsch der Mutter. Sie wollte nicht, dass es auf der Post zu Verwechslungen kommt – so wie es mit gleichen Namen immer wieder der Fall ist. Die Wahl fiel auf Dietrich – ein weit und breit unbekannter Vorname.

« Vigeli » entsprang einer Auswahl von drei Vorschlägen und entsprach dem Entscheid des Abtes. Aus drei Gründen (und in dieser Reihenfolge):

  • Vigeli ist der Kirchenpatron von Sedrun.
  • Vigeli ist der Name eines im Jahr 1977 verstorbenen Paters, der aus derselben Heimatgemeinde stammt (das Kloster führt Namen, die es bereits einmal gab, wenn möglich weiter).
  • Vigeli ist der Name seines Vaters.

Vigeli bzw. Vigil geht zurück auf « vigilare » (wachen) – und auf den heiligen Vigilius, der im 4. Jahrhundert Bischof von Trient war.

Ist ein Namenswechsel, der gewissermassen auch einen Identitätswechsel beinhaltet, schwierig zu verkraften ? Abt Vigeli schmunzelt – so, als ob er nicht verstehen würde, wie man eine solche Frage stellen kann. « Nein, es ist nicht schwierig. Es ist schön. »

Schwierigkeiten hatten und haben andere – jene, die ihn von einst kennen. Die damaligen Kollegen sagen immer noch Dietrich. Oft auch die Schwester. Die Eltern sagten « Vigeli » – aber nur dann, wenn jemand daneben stand. Abt Vigeli nimmt’s gelassen. « Die Leute können sagen, was ihnen leichter fällt. »

Und wie wünscht der Abt, dass man ihn anspricht ? Rein formell, also politisch korrekt, lautet die Anrede im Schriftverkehr: « Hochwürdigster Abt ». Weniger formell wäre « sehr geehrter Abt Vigeli ». Oder einfach « lieber Abt Vigeli ». Auf Rätoromanisch schreibt man: « Monsignur Avat ». Und auf den Strassen von Disentis grüssen die Menschen mit « Abt Vigeli » oder « Avat Vigeli ».

Nach der Profess ging Bruder Vigeli nach Salzburg und studierte dort – mit einem Jahr Unterbruch – von 1989 bis 1999 Theologie, Religionspädagogik und Latein. Am 26. August 1995 wurde er zum Priester geweiht. Am 10. September 1995 feierte er Primiz im Kloster Disentis und am 3. September 1995 Primiz in Sedrun.

Das liest sich als gradlinige Biographie. Doch das war nicht der Fall. « Das Mönchtum war mir wichtiger als das Priestertum. » Ergo wäre er lieber ein einfacher Mönch geblieben, und er hätte sich gerne handwerklich betätigt.

Abt Pankraz – unterstützt von Pater Urban Affentranger, dem damaligen Rektor – hatte mit Bruder Vigeli andere Pläne. Er sollte Latein und Griechisch studieren und dann am Gymnasium unterrichten. « Probier es! », verlangte der Abt von ihm.

Latein (und Theologie und Religionspädagogik – siehe oben) ja, Griechisch nein – nein, nein, nein. « Ich war nicht ganz gehorsam », gesteht Abt Vigeli.

Unsere Verwunderung weicht, nachdem er uns ein wesentliches Element der Benediktsregel erläutert. Demnach soll man annehmen, was einem auferlegt wird. Man soll es in jedem Fall versuchen. « Stellt sich eine Sache als zu schwierig heraus, dann kann man zum Abt gehen. Man muss nichts schlucken. »

Gerne hätte Bruder Vigeli seine Studien in Rom fortgesetzt. Der Abt verwehrte ihm das. Begründung: « Zu viele Bekannte, zu viel Ablenkung. »

Womit wir wiederum beim Thema sind: Gehorsam.

Wir Laien, die wir am Leben im Kloster Disentis häppchenweise – ein paar Stunden oder Tage – teilnehmen dürfen, sind immer wieder mit diesem Wort konfrontiert und zumindest in meinem Fall auch irritiert. Denn wir fragen uns, was « Gehorsam » bei tieferer Betrachtung bedeutet. Die Erklärung aus berufenem Mund: « Werdegang ist auch der Weg des Gehorsams. Wenn ich diesen Weg gehe, dann ist es am besten – weil ich von Gott geführt werde. Wenn ich mich hingegen weigere, dann kommen auch die Probleme. »

Pater Vigeli kehrte als Lehrer nach Disentis und ans Gymnasium zurück. Ab Pfingsten 1999 bis 2008 war er Statthalter und damit verantwortlich für die wirtschaftlichen Belange des Klosters, ab 2003 Dekan, und 2012 wurde er zum
66. Abt des Klosters Disentis gewählt.

Die Wahl fand am 19. April 2012 statt – im Kapitelsaal, der normalerweise als Refektorium (Speisesaal) dient. Stimmberechtigt sind alle Kapitularen (alle Mönche mit Ewiger Profess). Der Altabt nimmt an der Wahl nicht teil.

Es gibt keine Kandidaten, keine Absprachen, keine Wahlpropaganda. Geleitet wird bzw. wurde die Wahl von Abtpräses Benno Malfér und einem Sekretär. Der erste Wahlgang dient der Ermittlung von Kandidaten. Jeder Kapitular erhält einen Stimmzettel und darf darauf einen Namen notieren. Der Gewählte kann die Wahl umgehend annehmen – so wie dies Abt Vigeli tat – oder er kann sich einen Tag Bedenkzeit ausbedingen.

Nach Annahme der Wahl legt der neue Abt das Glaubensbekenntnis ab, die Glocken der Klosterkirche läuten, und die Menschen strömen in die Klosterkirche. Der Abtpräses – Abt Benno Malfér – verkündet ihnen den Namen des neuen Abtes. Beim so genannten Homagium erweisen die Mitbrüder dem neu gewählten Abt ihre Ehrbezeugung, und der Abt und seine Mitbrüder tauschen den Friedenkuss aus.

Bei der Abtsbenediktion am 6. Mai 2012 waren Sie entweder dabei oder haben sie in DISENTIS von Ferne miterlebt.

Was macht Abt Vigeli besonders Freude ?

Es sind die Aufgaben, die das Amt von ihm verlangt. « Ich will für die Gemeinschaft da sein. Ich will wie ein Vater sein, der versucht, sie zusammenzuhalten und zu führen – und dem Einzelnen ein gutes Wort zu geben und ihn zu unterstützen. »

Keine leichte Bürde, denkt man. Doch in den Worten des Abtes kommt nichts Derartiges zum Ausdruck – auch nicht im Unterton. Im Gegenteil: Man spürt die Berufung des Abtes, man spürt seine Hingabe, seinen Geist, seine Kraft, sein « feu sacré ».

Zu den Pflichten des Abtes gehört es, der Liturgie vorzustehen und das Kloster gegenüber kirchlichen und weltlichen Institutionen zu vertreten. Das alles ist für Abt Vigeli weniger Pflicht als Kür – mit einer wichtigen Präzisierung: « Feierliche Gottesdienste betrachte ich nicht als Bühne, sondern als speziellen Dienst ». Doch wenn wir uns an Dietrich und seine Kinderprozessionen in Sedrun zurückerinnern, dann brennt eine Frage auf der Zunge, die man einem Abt vielleicht nicht stellen darf. Und doch ist sie bereits herausgeplumpst: « Hat sich für Sie ein Bubentraum erfüllt ? »

Abt Vigeli lächelt. So, wie nur der Abt lächeln kann.

Andreas Prokesch

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