Oktober 2024

Sehr geehrte Damen und Herren

Der Herbst in unseren Bergen ist immer eine ganz besondere Zeit. Der erste Schnee, auch wenn er schnell wieder geht, gibt einen Vorgeschmack auf den Winter. Und dann sehen wir, wie die hoch liegenden Hänge von Tag zu Tag bunter werden, rötlich leuchten, lange bevor sich auch die Blätter der Bäume im Talverfärben. Herbst ist, wenn die Bauern ihre Tiere von der Alp zurück ins Dorf treiben. Zuerst die Kühe, später die Schafe. Heute so wie vor hundert Jahren – nur dass sie heute die asphaltierte Kantonsstrasse nutzen.

Es sind auch diese Traditionen, die für viele Menschen den Herbst zur schönsten Zeit des Jahres machen. Der Sommer ist vorbei – das bedeutet immer auch Wehmut. Aber so schön die Bäume und unsere Berge voller Grün sind, ihre wahre Schönheit zeigen sie erst, wenn sie sich Herbst in leuchtenden Farben präsentieren. Vergänglichkeit und Schönheit, so widersprüchlich diese Begriffe scheinen, so untrennbar sind sie verbunden.

Mich erfüllt diese Zeit jedes Jahr von Neuem mit Dankbarkeit. Ohne Herbst kein Winter – berauschend schön mit seinem Schnee und atemberaubender Klarheit. Ohne Winter kein Frühling – voll unbändiger Kraft, Vorfreude und Versprechen. Ohne Frühling kein Sommer – lange Tage voller Licht und Leben. Und ohne Abschied von diesem Sommer kein Herbst – die Zeit der Ernte, die Zeit, einen Gang zurückzuschalten und loszulassen.

Lassen Sie mich ausnahmsweise vom französischen Schriftsteller und Piloten Antoine de Saint-Exupéry zitieren: «Hast du Angst vor dem Tod», fragte der kleine Prinz im gleichnamigen Roman die Rose. Darauf antwortet diese: «Aber nein. Ich habe doch gelebt, ich habe geblüht und meine Kräfte eingesetzt, so viel ich konnte. Und Liebe, tausendfach verschenkt, kehrt wieder zurück zu dem, der sie gegeben. So will ich warten auf das neue Leben und ohne Angst und Verzagen verblühen.»

Geniessen Sie diese Herbsttage – ob bei uns in den Bergen oder wo auch immer Sie daheim oder gerade unterwegs sind. Nehmen Sie die Vergänglichkeit an in ihrer Schönheit und Pracht, voller Wehmut, aber auch voller Dankbarkeit.

Gesegnete Grüsse aus dem Kloster Disentis

Abt Vigeli Monn

e-DISENTIS Oktober 2024 als pdf

Wir verwenden Cookies und Google Analytics, damit wir unsere Internetseite laufend verbessern und Sie bestmöglich mit Informationen versorgen können. Durch die weitere Nutzung der Internetseite erklären Sie sich mit der Verwendung der oben genannten Dienste einverstanden. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.