Im Dominikanerinnenkloster St. Peter in Bludenz-Moos haben sich die Oblaten des Klosters Disentis in diesen Tagen weiter intensiv mit der Regel des Heiligen Benediktus beschäftigt, in der es heisst, «bereit sein, in allen Dingen wahrhaft Gott zu suchen» (RB 58,7). Von den Besinnungstagen berichtet Simeon Peter Böhringer.
So haben wir uns im Kloster St. Peter, bei den Dominikanerinnen in Bludenz, für einige Tage gemeinsam auf den Weg gemacht, Gott zu suchen und in Gemeinschaft miteinander den Glauben zu vertiefen. Die Besinnungstage standen unter dem Thema «Unter den Augen Gottes», genauer unter den segnenden, den liebenden, den berufenden, den barmherzigen Augen Gottes. Hier einige persönliche Erinnerungen und Gedanken:
Es begann mit RB 4,49 (Spr 15,3): «Fest überzeugt sein, dass Gott überall auf uns schaut». Gott blickt mich persönlich an, jederzeit. Das kann beruhigend, tröstlich, erfreulich und bergend sein. Es kann aber auch erschrecken, ängstigen, einen gewaltigen Schubs geben, sich dessen bewusst werden, Gott sieht mich jederzeit, er kennt mich mit Namen und ist bei mir. Aber nicht nur bei mir, auch beim Nächsten, bei meinem Freund, bei meinem Widersacher. Was immer es mir aber auch ausmacht, ich darf es Gott, Jesus Christus hinlegen, und das ist das tröstlich. Dieser Spruch bedeutet aber auch, Gott wird auch auf andere schauen, auf Andersgläubige, auf Nichtgläubige. Das könnte bedeutet, dass ich mein Denken, mein Handeln gegenüber anderen, gegenüber den Fremden überdenken muss!
Bei der Betrachtung des göttlichen Gesichts im Muschelseidentuch von Manopello mit seinem lieblichen, barmherzigen Frieden verströmenden Blick wurde es für mich nochmals tröstlich: der Herr schaut uns an. Selbst wenn dieses Gesicht nicht ein Abbild Jesu wäre, es weist uns auf seine Barmherzigkeit, seine Liebe hin. Und das schenkt göttliche Geborgenheit und Wärme. Was suchen wir noch mehr?
Mit dem Impuls zu Gen 1,1-2,4a, «unter Gottes segnenden Augen», wurde mir einmal mehr bewusst: Gott hat mich geschaffen, so wie ich bin, und es ist gut, wie er mich geschaffen hat, mit all meinen Qualitäten und Unzulänglichkeiten. Es war, als ob eine altbekannte Türe plötzlich wieder offen stand: es ist gut, dass es mich gibt. Gott hat aber nicht nur mich, er hat auch meine Nächsten geschaffen, und Gott fand es gut und segnete alle. Ist das nicht etwas Versöhnliches, etwas zutiefst Friedvolles?
Das Gebet von Romano Guardini «Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand ... Lehre mich in der Stille Deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, dass ich bin …» betont diese Tatsache ebenfalls, aber in seiner unverwechselbaren Sprache und hat mich ganz besonders gefreut. Er selber war nämlich Oblate der Benediktinererzabtei Beuron, mit dem Oblatennamen Odilo. Er hat mich bewogen, als Oblate im Kloster Disentis Ja zu sagen. Mit diesen Genesis-Worten und dem Guardini-Gebet hätte ich mich für den Rest des Tages weiter beschäftigen können. Aber es ging nochmals intensiv weiter.
Es folgte der Kreuzweg im Klostergarten mit einer für mich rätselhaften Verbindung zwischen dem vor zweitausend Jahren stattgefundenem Leiden Jesu und der Gegenwart; den einfach getöpferten Reliefs der einzelnen Stationen und den tiefsinnigen Texten bzw. Gebeten von Tomislav Ivancic und andererseits der warmen Sonne, dem Gezwitscher der Vögel und dem Gebrumm von Motorrädern hinter der Klostermauer auf der nebenanliegenden Strasse und der friedlichen Stimmung. Alles im gleichen Moment. Es war, als ob Jesus gerade jetzt sein Kreuz trägt, gerade jetzt die Schönheit mit dem Frühling auch für den Leidenden leuchtet. Die zeitliche Distanz ist wie weggefallen. Es war, als ob das Leiden hier und jetzt geschieht. Man hätte darüber philosophieren können…
Die anschliessende Mittagshore mit den beinahe schrillen Harfenklängen und den hellen hereinbrechenden Sonnenstrahlen in der Kirche löste diese beinahe unerträgliche Spannung zwischen damals und jetzt und brachte einem beinahe erlösend wieder zurück in die Gegenwart. Auch das waren Momente, über die man den ganzen Tag hätte nachdenken können.
Mit dem Impuls vom Nachmittag mit Jes 43,1-7 gab es noch einmal tröstliche, liebevolle Worte: ... fürchte dich nicht ... ich bin bei dir ... du bist in meinen Augen wertvoll, weil ich dich liebe... jeden, der nach meinem Namen benannt ist, habe ich zu meiner Ehre erschaffen. Ein Programm fürs Leben.
Mit Skepsis ging ich am Abend in die Herz Jesu-Messe mit anschliessendem Lobpreis und Möglichkeit individueller Segnung, Beichtgelegenheit und Anbetung. Warum Skepsis? Ich befürchtete, das gibt ein Event mit Jubel, Trubel, Heiterkeit. Mit Aktivitäten, wo das Besinnliche schnell zu Nichte gemacht wird, wo ich etwas machen muss, was mir zuwider ist. Ich könnte auch ganz einfach sagen, ich war schlichtweg voreingenommen. Aber ich machte eine andere Erfahrung!
Zuerst blieb mir am Abend die Predigt eines jungen Priesters wie ein Blitz hängen: «Herz Jesu-Freitag ist der Schnittpunkt zwischen der Liebe Jesu und seinem Leiden am Karfreitag.» Um eine theologische Wahrheit zu erklären, ein Fachbegriff aus der Geometrie. Für den alten Geometriespezialisten eine wahre Freude und totales Verstehen!
Die Zeichen für den Abend standen für mich nicht mehr auf Rot. Mit den schönen Liedern aus dem «Singe Jerusalem» und der stimmungsvollen Harfenbegleitung wurde der Lobpreis für mich wie eine musikalische Einführung ins Innere Gebet, wie es Teresa von Avila oder besonders Pater Maria-Eugen Grialou mit seinem Buch «Ich will Gott schauen» ausführt. Mit diesem Abend erlebte ich eine Gemeinschaft, die ich nicht vergesse. Wie sich einzelne, Junge und Alte, Frauen und Männer, Ehepaare, (auch ich) beim Priester individuell segnen liessen, war für mich «Kirche Gottes» pur.
Wie zum Beispiel ein junger Vater mit seinem Bub, vielleicht 7-8jährig, zum Priester ging, wie der Priester sich zum Buben neigte um zu hören, was ihn bewegt, und dann das Innehalten des Buben, während der Priester die Hände segnend über dem Kopfe hält und der Vater schweigend seinen Bub an den Händen hält, und wie die beiden dann andächtig, still und glücklich zurück an ihren Platz gehen, das vergesse ich nicht ... und bewegt mich auch jetzt noch, wenn ich dies schreibe.
Oder wie ein junges Mädchen beinahe forsch nach vorne geht und ebenso gesegnet wird und überglücklich, fröhlich, beinahe stolz wieder zurück an ihren Platz geht, ist unvergesslich. Wie tröstlich sind solche individuellen Segnungen, solche Momente. Mit diesem Abend ist mir eines einmal mehr bewusst geworden: Wenn das Amt des Priesters nicht von der Person überdeckt wird, wenn also die Person nicht im Vordergrund steht, sondern das Amt des Priesters als Vertreter Christi, dann kann die Kirche wirken, dann ist sie vertrauenswürdig, dann gibt es keine Diskussion. Und das ist Pater Bruno Rieder aus meiner Sicht vorzüglich gelungen. Für diese Erfahrung kann ich nur danken.
Am Samstag hiess es dann, draussen in der Natur auf den Blick Jesu Christi zu achten, mit offenen Augen und Herzen den Ausflug auf den Kristberg im Silbertal zu geniessen und «unter den berufenden Augen Gottes» (Joh 1,35-51) unterwegs zu sein. Ich glaube, das ist uns allen mehr oder weniger gelungen. Es gab die Möglichkeit, sich auszutauschen, diesen oder jenen Impuls zu vertiefen und die Berglandschaft mit dem drohenden Unwetter zu geniessen.
Im letzten Impuls am Sonntag, «unter den barmherzigen Augen Gottes» (Lk 22,54-62), bekamen wir nochmals die tröstliche Zuversicht, auch bei Versagen: Jesus Christus wendet sich immer noch uns zu und blickt uns an, er vergisst uns nicht und wird uns vergeben, wenn wir von Herzen und mit Tränen unsere Schuld eingestehen.
Allzu schnell gingen unsere Oblaten- Besinnungstage zu Ende. Reich genährt mit Erfahrungen, Gesprächen, Impulsen und Stillesein, sogar mit einer Notration beschenkt, einem alten liturgischen Hymnus. Hier die zweitletzte Strophe:
«Herr, wenn wir fallen, sieh uns an
und heile uns durch deinen Blick.
Dein Blick löscht Fehl und Sünde aus,
in Tränen löst sich unsere Schuld.»
Hoffentlich kann jeder von uns etwas davon in seinem Umfeld zu Hause weitergeben, sei es in Gesprächen oder mit Gebeten.